Bericht aus dem Lager Moria

Nach wie vor ist das Geflüchtetenlager Kara Tepe, bekannt als Moria, ein Ort, an dem Menschenrechte nicht großgeschrieben werden. Menschen, die vor Krieg, Armut und Leid geflohen sind, warten vor den Toren Europas auf Einlass und das unter humanitär katastrophalen Umständen. Im Lager auf der griechischen Insel Lesbos mangelt es an Nahrung, Sanitäranlagen und medizinischer Behandlung. In der rauen Bucht sind die Menschen in ihren Zelten in den kälteren Tagen großen Stürmen ausgesetzt, in den aktuellen Tagen bis zu 50° im Zelt. ~2500 Kinder warten dort auf die Möglichkeit der Bildung.

Am 13. August ist ein 9- Köpfiges Team aus jungen Student*innen zum zweiten Mal in das Geflüchtetenlager Kara Tepe auf Lesbos aufgebrochen. Darunter der 26- Jährige Laetis Ntshonso aus Lohmar. Unterstützt wurde das Projekt von der Flüchtlingsinitiative Lohmar-Siegburg e.V., die den jungen Menschen im Voraus bei ihrer Spendensammlung half.
Bereits im Oktober war das Team, kurz nach dem großen Brand in Moria, nach Lesbos gereist und hatte 3 Tonnen Hilfsgüter mitgebracht und verteilt. Ihre Reise hatte nie etwas mit einer politischen Positionierung zu tun, es ging ihnen stets um den Umgang mit Menschen.

Sie konnten den Ort und die Menschen die sie kennenlernen durften, nach eigenen Aussagen, nicht vergessen. Im August 2021 war es dann ein zweites Mal so weit und das Team brach erneut auf. Dieses Mal ausschließlich mit Geldspenden im Gepäck, um die Hilfsgüter vor Ort einzukaufen und gleichzeitig die unter der Situation leidende Inselwirtschaft zu unterstützen.


Eine Mitfahrende berichtet:

Die Zustände haben sich im Vergleich zum Vorjahr dramatisch zugespitzt und sind eigentlich unbeschreiblich. Im vorderen Teil des Lagers, dem Eingangsbereich, gaukeln noch einigermaßen menschenwürdige Zustände eine heile Welt vor. Hier sieht man im Vergleich zum Vorjahr einige Wohncontainer. Geht man jedoch über einen kleinen Berg weiter in das Lager hinein, spielt sich eine humanitäre Katastrophe ab. Dort leben, umgeben von hohen Mauern, fast ausschließlich Familien mit Kleinkindern. Es gleicht einem Gefängnis, doch selbst jedes Gefängnis bietet mehr Komfort, als diesen Vergessenen zugemutet wird. Selbst die Google-Maps Karten führen um den weißen Fleck auf der Landkarte herum, der von der Öffentlichkeit nicht mehr wahrgenommen werden soll und aus den Medien verschwunden ist. Die Kinder, Frauen und Männer, die in dem als Übergangslösung geplanten Lager ausharren, flohen vor Krieg, Terror und Hunger in ihren Herkunftsländern und hofften auf Aufnahme in Frieden und Sicherheit in Europa, doch sie kamen direkt in die nächste Katastrophe. Vor Monaten hat die griechische Regierung die Zahlung von 70€ pro Person und Monat eingestellt. Damit konnten die Geflüchteten ihre nötigsten Dinge beschaffen. Nun bleibt den Familien mit Kleinkindern und Babys nur noch das rationierte Essen einmal am Tag, welches lange nicht ausreicht und die Menschen tagtäglich hungern lässt. Mit jedem abgelehnten Asylantrag, warten mehr Einschränkungen auf die Menschen. So dürfen sie zum Beispiel nach dem zweiten angelehnten Asylantrag das Lager nur noch einmal pro Woche verlassen. Damit soll auch der Kontakt zur Bevölkerung möglichst minimiert werden.

Wir sprachen mit Familien, die teils seit 3 Jahren auf der Insel festsitzen. Sie haben bis zu vier Ablehnungen erhalten und stammen alle aus syrischen Kriegsgebieten, Afghanistan oder afrikanischen Ländern im Bürgerkrieg, Hungersnot etc...

Ein Beispiel betrifft eine Familie mit drei Kindern aus Afghanistan. Sie leben seit Anfang 2019 im Camp und teilen sich das Zelt mit einer weiteren Familie. Seit 16 Monaten haben sie kein Geld mehr bekommen und ihr Asylantrag wurde mehrfach abgelehnt. All ihr Erspartes haben sie einem Anwalt gegeben, der ihnen letztendlich nicht weiterhelfen konnte. Die Eltern sind jung, doch ihre Gesichter durch die vielen Sorgenfalten gealtert. Sie sagen, es sei ihnen egal wo sie in Europa aufgenommen werden würden. Alles was sie sich wünschen würden sei, dass ihre Kinder im Alter zwischen 6-14 eine Schule von innen kennenlernen würden. Sie selbst sind Analphabeten und wünschen sich Besseres für ihre Kinder. Solche Erlebnisse und hautnah erlebte Schicksale lassen uns erkennen, dass im Vergleich zu unserem letztjährigen Aufenthalt, die Menschen müde und kraftlos geworden sind. Die Aussichtslosigkeit ihrer Situation hat ihre Hoffnungen zerstört und ihre Kräfte schwinden lassen.

Wir trafen während unseres Aufenthalts im Lager auch auf behinderte Kinder. Selbst ihnen wird die Weiterreise verwehrt. Manche haben keinen Rollstuhl, es fehlt an Schuhen, geschweige denn Spielsachen.

Ziel unserer Reise war es dieses Mal, möglichst viele Familien in ihren Zelten zu besuchen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Dabei hatten wir eine afghanische Studentin aus Kassel, einen syrischen Schüler aus Frankfurt und Laetis aus Lohmar dabei, dessen Muttersprache Lingala und Französisch ist. Während den Gesprächen erfuhren wir immer, an was es den Menschen fehlt, abgesehen von der Sehnsucht nach menschlicher Nähe, Kontakt und Mitgefühl. Im Anschluss kauften wir nach Wunsch der Familien ein. Zum größten Teil waren es Essensgutscheine, die wir in den umliegenden Supermärkten erworben haben. Die Menschen zeigten sich sehr dankbar, wir lachten und weinten miteinander. Wir tranken in ihren Zelten Tee und genossen trotz ihrer fehlenden Mittel ihre große Gastfreundlichkeit.

Oft sind es Kleinigkeiten die unser Herz erwärmt haben. Als ich an einem besonders heißen Tag auf einem Supermarktparkplatz saß und mit meinem Kreislauf zu kämpfen hatte, war es ein kleiner kongolesischer Junge, vielleicht 3 Jahre alt, der das bemerkte. Er kam und bestand darauf mir sein Saftpäckchen zu schenken. Darüber hatte er sich Minuten vorher selbst sehr gefreut, da seine Mutter es ihm mit ihren wenigen Mitteln gekauft hatte. Er faszinierte mich mit seiner Herzlichkeit und seiner fröhlichen Art und Weise. Er forderte mich zum Tanzen auf und wollte mich besser fühlen lassen. Wäre das nicht meine Aufgabe gewesen? Ich werde den Kleinen nie vergessen.

Unsere Reise hat Spuren hinterlassen. Wir werden das, was wir gesehen und erlebt haben nicht vergessen können. Wir werden nicht aufhören uns für die Familien einzusetzen, die am Rande Europas unbemerkt bleiben. Am erschreckendsten ist für uns, mit was für einer Bemühung und mit was für einem Erfolg dieser schreckliche Ort von Europa verheimlicht wird.

Wenn wir etwas für uns persönlich von dieser Reise mitnehmen, dann die Erkenntnis darüber, dass all unsere Probleme in Deutschland dagegen nichtig sind.

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